Die Kunst des Dialogs nach David Bohm

Zu den Grundlagen sinnstiftender Kommunikation

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18. Juni 2019

Führung & Philosophie

4 min.

Der Begriff Dialog stammt aus dem Altgriechischen, dialogos und bedeutet wörtlich dia „durch“ logos „Wort“. Durch das Wort kommen wir miteinander in Verbindung und lernen zu verstehen, wir treten in Beziehung und tauschen uns aus. In seinem Ursprung hat Dialog mit der gemeinsamen Suche nach Sinn und Erkenntnis zu tun. Das mag zunächst fernab vom Arbeitsalltag erscheinen. Gespräche sind jedoch Grundlage allen gemeinsamen Arbeitens, und die Qualität unserer Gespräche ist ausschlaggebend für nachhaltigen Erfolg, von der Entscheidungsfindung über Problemlösungen und Innovationen bis hin zum Konflikt- und Krisenmanagement.

David Bohm, ein amerikanischer Physiker und Philosoph, hat sich vor diesem Hintergrund intensiv mit den philosophischen Grundlagen des Dialogs auseinandergesetzt. Seine Gedanken wiederum sind im Dialogue Project am Massachusetts Institute of Technology als eigene Methode für die unternehmerische Praxis weiterentwickelt worden.

Dialog nach David Bohm

Bohms Konzeption des Dialogs entstand durch seinen intensiven Austausch mit dem indischen Denker Jiddu Krishnamurti. Krishnamurti und Bohm gehen davon aus, dass gesellschaftliche und persönliche Probleme ihre Ursache in unseren konditionierten und unhinterfragten Denkprozessen und vorgelagerten Annahmen haben. Bohms Anliegen ist es, durch Dialog einen Rahmen zu schaffen, in dem genau diese Annahmen und Prozesse in Gruppen beobachtet und thematisiert werden können – um sie als Annahmen zu enttarnen, die wir loslassen können. Dadurch wird Raum frei für neue Perspektiven und Denkweisen, die zu nachhaltigen Veränderungen in unserem Handeln führen.

Damit sich das Potenzial des Dialogs optimal entfalten kann, ist ein Rahmen mit bestimmten Grundregeln erforderlich. Es ist essenziell, dass im Dialog selbst keine Entscheidungen getroffen oder ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden soll. Es gibt keine Diskussion und keinen Aktionsplan, noch nicht einmal eine Agenda. Denn all dem liegen bereits prägende Annahmen zugrunde: Annahmen darüber worüber zu sprechen ist, welches Ergebnis wünschenswert wäre, welches Argument überzeugender ist oder welche Aktionen nützlich sind. Diese Annahmen beschränken den Dialog, weil Themen und Denkprozesse bereits vorgegeben werden.

Ziel des Dialogs – sofern man überhaupt von einem Ziel im Dialog sprechen kann – ist jedoch, in aller Offenheit ein Thema zu untersuchen, um zu einem vertieften Verständnis der gedanklichen Prozesse zu kommen, die unser Handeln steuern. Daraus ergeben sich neue Erkenntnisse und neue Möglichkeiten des Handelns.

Die dialogische Haltung

Die wesentliche Voraussetzung für einen Dialog im Sinne Bohms ist eine Haltung der Offenheit und der achtsamen Wahrnehmung ohne zu bewerten. Die Aufmerksamkeit im Dialog liegt auf der Beobachtung und Mitteilung dessen, was in der Gruppe und mit einem selbst passiert, wenn Dinge geäußert und Ansichten kundgetan werden. Diese Haltung ermöglicht es, auch die eigenen Annahmen wertfrei zur Kenntnis zu nehmen und in Frage zu stellen, anstatt sie zu verteidigen. Dadurch wird der Weg frei für Neues und Anderes, individuell und in Gruppen.

Annahmen erkunden: was ist notwendig?

Bohm erläutert eine solche dialogische Erkundung am Beispiel der Notwendigkeit. Wenn wir etwas für notwendig erachten, ist eine Verhandlung nicht möglich. Sobald also unterschiedliche Meinungen darüber, was absolut notwendig ist, im Raum stehen, entsteht eine schwer aufzulösende Polarisierung. Dies ist eine häufig anzutreffende Situation nicht zuletzt in Unternehmen, wenn es beispielsweise darum geht, wie bei begrenzten Mitteln Geld und Ressourcen verteilt werden sollen. Dramatische Ausmaße nehmen diese Konflikte an, wenn aus Gründen der vermeintlichen Notwendigkeit Menschenleben geopfert werden, wie in kriegerischen Auseinandersetzungen. Die üblichen Wege der Diskussion versagen hier, und es entsteht Konflikt.

Im Dialog besteht die Möglichkeit, über diesen Konflikt hinauszugehen indem die Frage nach der Annahme gestellt wird: Ist diese und jene Sache wirklich absolut notwendig? Was heißt absolut notwendig? Gibt es vielleicht noch andere Notwendigkeiten? Auf diesem Weg kann die Erkenntnis reifen, dass wir uns durch Vorstellungen vom absolut Notwendigen begrenzen und im Konflikt verhaftet bleiben. Daraus kann in einer Gruppe die Freiheit entstehen, sich auf andere Rangordnungen des Notwendigen einzulassen. Echte Veränderung und Transformation werden möglich.

Das MIT Dialogprojekt: die praktische Anwendung in Unternehmen

William Isaacs am Massachusetts Institute of Technology griff den Ansatz Bohms auf und initiierte in den 1990er Jahren das MIT Dialogue Project für die praktische Anwendung in Organisationen. Isaacs und sein Team entwickelten ein Vorgehen, mit dem über mehrere Gesprächsrunden hinweg das erforderliche Vertrauen in die Kraft des Dialogs in Gruppen aufgebaut werden können. Dazu gehören die Entwicklung von vier dialogischen Kompetenzen. Als wichtiges ergänzendes Element stellte sich außerdem die Moderation oder „facilitation“ i.S.d. Ermöglichens heraus. Die Moderation sorgt dafür, dass der dialogische Rahmen („container“) in Raum und Zeit gehalten wird und schafft dadurch Sicherheit für die Gruppe – eine wesentliche Voraussetzung für Offenheit untereinander. 

Die Dialogmethode wurde in großen Unternehmen mit festgefahrenen Strukturen, im Konfliktmanagement und sogar in schweren Krisen erprobt und weiterentwickelt. Tiefe Gräben ließen sich überwinden und neue gemeinsame Wege gehen. Isaacs berichtet unter anderem über ein traditionsreiches Stahlwerk, in dem seit Jahren verhärtete Fronten zwischen Management und Produktion die Weiterentwicklung des Unternehmens behinderten. Zum ersten Mal seit Generationen entstanden durch die Dialoge in diesem Unternehmen gemeinsame Aktionspläne um ständig wiederkehrende Probleme zu lösen, so dass Geldgeber zu neuen Investitionen in das Stahlwerk veranlasst wurden.

Ein Gewinn für alle

Das entscheidende Ergebnis in den Initiativen des Dialogue Project war die bleibende Veränderung der Gesprächskultur in den jeweiligen Organisationen. Die Praxis des Dialogs führt zu einer verfeinerten Wahrnehmung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Man erkennt schneller, wo Denkblockaden bestehen und ist in der Lage, dies zu thematisieren. Wenn die Kunst des gemeinsamen Denkens im Dialog einmal Fuß gefasst hat, strahlt sie in das gesamte Umfeld nachhaltig aus. Es entsteht mehr Vertrauen zueinander und Informationen können freier fließen. Das führt auf ganz natürlichem Wege zu konstruktiveren Arbeitsbeziehungen und besseren Entscheidungen – ein Gewinn für alle.

Literatur: David Bohm: Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussion. (2017) und William Isaacs: Dialog als Kunst gemeinsam zu denken. (2011)

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