Two Loops of Change

Ein ganzheitliches Verständnis von Transformation in Organisationen

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5. Juni 2021

Menschen & Unternehmen

4 min.

Klassisches Change Management in Organisationen ist auf einen klaren Plan fokussiert, mit konkreten Schritten hin auf eine konkrete Vision. Die Veränderung ist abgeschlossen, wenn das Ziel erreicht ist, gemessen an eindeutigen KPIs. Dieser lineare Ansatz zum Management von Veränderungen basiert auf dem Grundgedanken, Organisationen als Maschinen zu sehen, die entsprechend gesteuert werden können.

Zunehmend müssen wir jedoch feststellen, dass wir mit diesen Ansätzen an Grenzen stoßen, insbesondere wenn die Veränderungen größere Paradigmenwechsel betreffen oder disruptiv sind. Da erweist es sich als hilfreicher, Organisationen als lebendige Systeme zu verstehen und Transformation als zyklischen Prozess zu begreifen. Dies ermöglicht eine Perspektive auf Veränderungen, die sich an organischen Vorgängen in der Natur orientiert.

Alle lebendigen Systeme durchlaufen Phasen der Saat, der Blütezeit und des Verfalls – aus dem wiederum die neue Saat entsteht. Das lässt sich jedes Jahre wieder aufs Neue in den Jahreszeiten beobachten. Das Two Loops Model macht sich dieses Prinzip zu eigen, um größere Veränderungen in Organisationen zu erklären und zu verbildlichen. Anhand von zwei Bögen werden die zyklischen Wachstumsphasen zweier verschiedener Paradigma visualisiert.

Der Bogen der Dominanz

Wenn ein System von der Saat zur Blüte gedeiht, wird es zu einem dominanten Paradigma. Mehr und mehr Menschen eignen sich die Grundsätze und Ideen des Systems an und verhalten sich entsprechend. Bestimmte Dinge werden einfach selbstverständlich und gehören bald zum Inventar des „Das haben wir schon immer so gemacht“. Das dominante System wirkt stabil, und wer es in diesem System zu etwas gebracht oder sich darin gut eingerichtet hat, verfällt leicht der Vorstellung, es würde alles für immer so bleiben. Selbst wenn sich erste Risse im dominanten System zeigen, führt dies meist dazu, dass man mehr desselben macht um die Dinge mit den bisherigen Methoden am Laufen zu halten. Häufig werden die Augen vor der unausweichlichen Phase des Niedergangs geschlossen, so dass Widerstand, Kämpfe und Aggressionen entstehen.

Der Bogen der Emergenz

Dem gegenüber entwickelt sie der Bogen der Emergenz. Während das dominante System seinen Höhepunkt erreicht, entwickeln sich gleichzeitig erste neue Ideen und Alternativen, weil einige Menschen Unstimmigkeiten im System erkennen oder eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Status quo entsteht – im Fall von Unternehmen oft durch Trends am Markt getriggert. 

Die Saat der neuen Alternativen und Möglichkeiten ist der Beginn des zweiten Bogens. Wenn Pioniere sich untereinander vernetzen und Communities bilden, in denen neue Wege ausprobiert und weiterentwickelt werden können, entsteht eine wachsende Kraft, die wiederum dazu führt, dass ein neues System entstehen kann. Die Pioniere spielen hier die entscheidende Rolle, indem sie den Mut haben, Neues zu wagen und aktiv im kreativen Prozess der Entstehung mitwirken.

How change happens. - The Moment

Hospiz und Kompost

Da diese beiden Bögen gleichzeitig sich in ihrem jeweils eigenen Prozess entwickeln, entstehen Spannungen. Tatsächlich ist es genauso wichtig, sich um die Phase des Verfalls wie um die Phase des Aufkeimens zu kümmern. Wir müssen lernen, den Verlust des Alten gleichzeitig mit dem Entstehen des Neuen zu navigieren.

Das dominante System hat natürlicherweise sehr viele Ressourcen zur Verfügung, und viele Menschen, die ihr Leben lang in diesem System gearbeitet haben. Der Systemverfall ist eine schwierige und desorientierende Erfahrung, die im Sinne des Zyklus konstruktiv begleitet und betreut werden kann. Wie in einem Hospiz geht es darum, dem Alten einen würdevollen Abgang zu ermöglichen. Gleichzeitig bedeutet der Verfall des Systems in seine Einzelteile auch, dass diese Komponenten auf dem Wege der Kompostierung einer Wiederverwertung im neuen System zugeführt werden können.

Ebenso wichtig wie die Rolle der Pioniere ist hier die Rolle der Stabilisatoren: Sie sorgen dafür, dass das alte System so lange funktionsfähig bleibt, bis das Neue stark genug ist, die Organisation zu tragen. Erst dann kann die Brücke gebaut werden, die es den Stabilisatoren ermöglicht, mit Leichtigkeit in das neue System überzuwandern.

Schutz für Stabilisatoren und Pioniere

Was bedeutet das in der Praxis? Wenn organisationale Veränderungen anstehen, ist es genauso wichtig, sich um die Stabilisatoren zu kümmern wie um die Pioniere. Die beiden Gruppen brauchen jedoch unterschiedliche Formen der Unterstützung. Stabilisatoren brauchen Respekt für ihre Leistungen und gleichzeitig das Wissen, dass sie eine wichtige Rolle im Systemübergang spielen. Sie können den „konstruktiven Verfall“ unterstützen, indem sie z.B. auf den Erhalt lebensnotwendiger Strukturen achten oder eingedenk der anstehenden Veränderung bereits Ressourcen umleiten.

Pioniere brauchen hingegen Schutz und Ermutigung, um Neues auszuprobieren, zu experimentieren und besonders um aus frühen Fehlern zu lernen. Die ersten Pflänzchen der Veränderungen erfordern eigene geschützte Räume um zu wachsen. Außerdem brauchen Pioniere die Möglichkeit sich untereinander zu vernetzen, unabhängig von Rang oder Bereich, um Lernerfahrungen auszubauen und skalierbar zu machen. In dieser Phase ist es erforderlich, Ressourcen aus dem dominanten System gezielt zur Verfügung zu stellen, um das Gedeihen von „communities of practice“ zu ermöglichen. Das Neue muss nachhaltig tragen, um eine stabile Brücke aus dem Alten heraus zu bauen.

Spannungen aushalten

Im gesamten Prozess überschneiden sich diese beiden Bögen nie, denn sie stellen grundsätzlich verschiedene Paradigmen dar – zum Beispiel analoges vs digitales Arbeiten, oder eine durchstrukturierte vs einer agilen Organisation, eine traditionelle vs eine innovative Kultur. Das hat zur Folge, dass es naturgemäß zu Spannungen innerhalb der Organisation kommt. Die Phase des Verfalls verläuft zeitgleich zur Keimung des Neuen und ist durch ein hohes Maß an Unsicherheit gekennzeichnet. Man spürt, dass das Alte nicht mehr auf Dauer trägt, während das Neue noch nicht konkret und praktisch sichtbar ist.

Die Kunst besteht nun genau darin, diese Spannung auszuhalten und sich regelmäßig in den beiden Bögen zu verorten. Denn das dominante System wird die neuen Ideen zunächst nicht anerkennen oder ernst nehmen, vielleicht sogar vollständig übersehen. Andererseits ist das emergente System möglicherweise noch so fremd und anders, dass es zunächst größere Verständigungsschwierigkeiten gibt.

Kontakt und Kommunikation

Deswegen ist für die Führung einer Organisation im Wandel der Kontakt zu und zwischen den verschiedenen Bereichen des Unternehmens sehr wichtig. Dafür eignet sich beispielsweise ein regelmäßiger Dialog, sowohl innerhalb der jeweiligen Bögen als auch übergreifen. Ebenso ist es hilfreich, in der Selbstreflexion die eigene bevorzugte Rolle zu kennen und zu benennen. Fühlen wir uns eher als Pionier und probieren auch im Alleingang mal Neues aus, oder bevorzugen wie die Rolle der Stabilisierung auf Basis des Bewährten? Wer fühlt sich berufen, sich im Sinne eines Hospiz um diejenigen zu kümmern, die auf der weiteren Reise nicht mehr dabei sein können oder wollen, um ihnen einen würdigen Abgang zu ermöglichen?

Auch die Kommunikation in solchen Wandlungsphasen muss die unterschiedlichen Phasen und Rollen berücksichtigen. Den Pionieren geht es meist nicht schnell genug, während die Stabilisatoren die endgültige Veränderung gerne hinauszögern. Beide Bögen müssen entsprechend beachtet werden und in gegenseitiger Kenntnis leben. Ein zyklisches Verständnis von Wandlungsprozessen kann viel bewirken, um gegenseitiges Verständnis und Respekt zu entwickeln. Denn irgendwann wird auch das neue emergente System seinen Höhepunkt erreichen und dem Verfall entgegensehen müssen.

Das Two Loops Model wurde zuerst von Margaret Wheatley und Deborah Frieze am Berkana Institute entwickelt. Die Grafik stammt von The Moment.

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